"Revolution" ist ein anderes Wort für "Umwälzung", und eine anderes Wort dafür ist "Umwertung".
Die von Nietzsche geforderte "Umwertung aller Werte" ist allerdings gedacht als eine Gegen-Umwertung, mit der die
alte christlich-jüdische Umwertung der antiken Werte rückgängig gemacht werden soll.
Statt von
umwälzen kann man bei Nietzsche auch von umgraben sprechen - der Arbeitstitel für mehrere
von Nietzsches Büchern lautet
Die Pflugschar.
Was Nietzsche damit will, ist weit
mehr als Schriftstellerei
Am 19. Juni 1881 ( nach Erscheinen von Morgenröte ) schreibt Nietzsche: "Ach, meine gute liebe Schwester, du meinst,
es handele sich um ein
Buch? Hältst auch
du mich immer noch für einen Schriftsteller! Meine Stunde ist da." [Quelle: KSB 6,93]
.
Die Frage ist: Was will er eigentlich? Aufschluss darüber kann ein
Vergleich mit Karl Marx
Dieser Vergleich ergibt Parallele und Kontrast. Das
Kommunistische Manifest
ist im Revolutionsjahr 1848 erschienen, aber
die 50er Jahre - es sind Nietzsches Jugendjahre - machen die Hoffnungen von Marx zuschanden.
Parallel dazu schreibt Nietzsche: "Wir, die wir in der Sumpfluft der
fünfziger Jahre Kinder gewesen sind,
können gar nichts anderes sein als Revolutionäre - wir werden keinen Zustand der Dinge zugeben, wo
der Mucker obenauf ist."
[Quelle: Ecce Homo, klug 5] In den Grabstein von Karl Marx ist die letzte seiner Feuerbach-Thesen eingemeißelt:
"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden
interpretiert; es kommt darauf an, sie zu
verändern."Nietzschesagt das Gleiche, nur mit ein bisschen anderen Worten: "Mir scheint
die wichtigste Frage aller Philosophie zu sein, wie weit die Dinge eine unabänderliche Artung und Gestalt
haben: um dann, wenn diese Frage beantwortet ist, mit der rücksichtslosesten Tapferkeit auf
die Verbesserung der als veränderlich erkannten Seite der Welt
loszugehen" [Quelle: BAY 3, Kritische Studienausgabe 1,445].
So deutlich die Parallele, so schroff der
Kontrast.
Marx glaubt an die Welterlösung durch die Weltrevolution,
Nietzsche dagegen erklärt: "Jede Philosophie, welche durch ein politisches Ereignis das Problem des
Daseins verrückt oder gar gelöst glaubt, ist eine Spaß- und Afterphilosophie." (Quelle: ERZ 4, KSA 1,365)
geben. Entscheidend ist das Verhältnis zur
Französischen Revolution
In
Morgenröte: "Man fängt ja an, auch dies einzusehen, dass der letzte Versuch einer großen Veränderung der
Wertschätzungen, und zwar in Bezug auf die politischen Dinge - die "große Revolution" - nicht
mehr
war als eine pathetische und blutige
Quacksalberei, welche durch plötzliche Krisen dem gläubigen Europa die Hoffnung
auf
plötzliche
Genesung beizubringen wusste - und damit alle politischen Kranken bis auf diesen Augenblick ungeduldig
und gefährlich gemacht hat." [Quelle: Morgenröte 534]
:
Während die Sozialisten sich zu ihr bekennen (ihre Hymne ist die
Marseillaise, die erst 1871 durch
Die Internationale
abgelöst wird), nennt der Antisozialist Nietzsche sie eine "blutige Quacksalberei".
Was Nietzsche seit seiner Jugend und bis zuletzt will und plant, ist eine Kulturrevolution: eine "neue
Cultur-Periode", ein
neues "tragisches Zeitalter"
Zuletzt noch, wo Nietzsche sich in
Ecce homo zur
Geburt der Tragödie äußert, lesen wir: "Ich verspreche ein
tragisches Zeitalter: Die höchste Kunst im Jasagen zum Leben, die Tragödie, wird wiedergeboren werden"
[Quelle: Ecce Homo, TRA 4)
.
"Umwertung aller Werte" ist nur eine andere Formel dafür. Deshalb die Allianz mit dem steckbrieflich gesuchten
Revolutionär Richard Wagner; deshalb auch Nietzsches eklatante
Provokationen
Nietzsches provokanteste "Umwertung" ist die des Kriegs, vor allem im
Zarathustra:
"Ihr sagt, die gute Sache sei es, die sogar den Krieg heilige? Ich sage euch: der gute Krieg ist es, der jede Sache heiligt."
(Quelle: ZAR I, Krieg) Das ist schwer zu schlucken, aber eigentlich nur provokativer Humbug; denn was soll der
"gute Krieg" anderes sein als der Krieg wertvoller Menschen, und was sollen diese Menschen anderes
verfechten als eine "gute Sache"?
,
die man aber so ernst nicht nehmen muss.